projekt 2III.2
  Priester und orthodoxe Kirchengemeinde als Faktoren sozialer Integration - Kulturelle Traditionen und zivilgesellschaftliches Potential in Bulgarien
Ziel

Das Projekt beleuchtet die Rolle von Priester und Kirchengemeinde in Bulgarien (Orthodoxe Kirche) in ihrer jeweiligen unmittelbaren Umgebung, also dem Dorf oder der Stadt. Gefragt wird dabei u.a. nach zivilgesellschaftlichen und im weitesten Sinne politischen Einflußmöglichkeiten des Priesters und der Kirchengemeinden und nach ihrem Verhältnis zu den weltlichen Institutionen. Damit wird erstmals die Rolle der Kirche in Bulgarien "von unten" betrachtet. Das Projekt gliedert sich in zwei Teile: eine historische Unterschung der Vorbedingungen (ab 1920) und eine auf Interviews mit aktiven Priestern beruhende soziologisch-kulturanthropologische Untersuchung des gegenwärtigen Zustands. Damit sollen Aussagen zum zivilgesellschaftlichen Potential der kirchlichen Strukturen im postsozialistischen Bulgarien gefunden werden.

Zeitraum 1.6.2003 bis 1.6.2005
Team Prof. Dr. Edgar Hösch
Christian Geiselmann M.A.
Petar Kanev M.A.
Dr. Daniela Koleva
Elia Bojadzhieva M.A.
Galja Goncharova M.A.
Vasil Praskov
Atanaska Grudeva
Vanja Elenkova
Radosveta Krastanova
Projektbeschreibung Die EU-Integration der osteuropäischen Länder ist verbunden mit Transfer von Institutionen, Methoden und Denkweisen. Sie zielt auf politische Stabilisierung u.a. durch Stärkung der Zivilgesellschaft. Ein bisher vernachlässigter Faktor sind dabei die orthodoxen Kirchen, die, wenn auch in sozialistischer Zeit geschwächt, ein institutionelles und kulturelles Fundament ihrer jeweiligen Gesellschaften bilden. Bei der europäischen Integration sollten auch die in der religiösen Sphäre angesiedelten zivilgesellschaftlichen Ansätze (Wertesystem, demokratische Traditionen in der Gemeindeleitung, bürgerschaftliches Engagement v.a. auf sozialem Gebiet) genutzt werden. Dazu ist aber notwendig, historische Bedingungen und gegenwärtige Lage zu klären. Das forost-Projekt 2.II.5 liefert einen Beitrag dazu, indem es die Rolle von Kirche/Priester/Kirchengemeinde in der bulgarischen Dorf- bzw. Stadtgemeinde beleuchtet. Dadurch werden diese auch als mögliche Kooperationspartner für den Prozeß der europäischen Integration erfasst.

Die Untersuchung konkreter Fallbeispiele in diachronen Schnitten von der Zwischenkriegszeit bis zur Gegenwart wird dabei das Material bieten für allgemeingültige Aussagen, die in Handlungsempfehlungen für langfristige Stabilitätspolitik münden können. Die Untersuchung wird zeigen, wie und wo in der Welt des orthodoxen Christentums (hier am Beispiel Bulgariens) zivilgesellschaftliche und demokratische Traditionen außerhalb des staatlichen Sektors vorliegen, aber auch, wo mit Defiziten zu rechnen ist.

Das Projekt setzt sich aus zwei eigenständigen Untersuchungen zusammen, die miteinander verflochten sind. Der historische Teil (Zwischenkriegszeit und Sozialismus) wird im wesentlichen von Christian Geiselmann (München) bearbeitet. Er bedient sich bulgarischer Archivalien nationaler und lokaler Institutionen, verwendet aber auch Zeitzeugeninterviews. Der gegenwartskundliche Teil wird von einem Forscherteam unter Leitung von Petar Kanev (Sofia) erstellt. In Kooperation mit dem Institut für Kulturgeschichte und Kulturtheorie der Sofioter Universität Sv. Kliment Ochridski werden im Sommer 2003 bis Frühjahr 2004 rund 200 biographische Interviews mit aktiven Priestern der orthodoxen Kirche in Bulgarien aufgenommen, die dann auf den zugrundeliegenden Fragekomplex nach der zivilgesellschaftlichen Relevanz von Priestern und Kirchengemeinden ausgewertet werden. Gleichzeitig fließen die Interviewergebnisse in das historische Teilprojekt ein.

Einige Leitfragen der Untersuchung sind: Welche Rolle spielen Priester, Ehefrau des Priesters und Kirchengemeinderat in der Gemeinde? Welchen politischen/ideologischen Einflüssen sind sie ausgesetzt? In welchem Maße üben sie politischen/ideologischen Einfluss aus? Wie sind kirchliche und weltliche Gemeinde institutionell verzahnt?
Anwendung

Das Projekt gibt Aufschluss zu bisher meist unbeachteten Aspekten der Gesellschaft in Bulgarien und der orthodoxen Welt insgesamt. Es liefert damit Hintergrundwissen für die Prozesse der europäischen Integration, insbesondere für den Aspekt des Ausbaus zivilgesellschaftlicher Strukturen. Laufende Initiativen auf wirtschaftlichem, administrativem und kulturellem Gebiet mit dem Ziel der politischen Stabilisierung erhalten durch das Projekt Grundlagen für die Einbeziehung des Faktors Kirche. Das Thema ist eng verflochten mit Fragen der Kommunalpolitik und kann daher auch auf dieser Ebene zu einer intensivierten Ost-West-Zusammenarbeit europäischer Regionen beitragen. Aus dem Forschungsteam kann ein Beratungs-Pool für Fragen von Kirche und Lokalverwaltung in Bulgarien aufgebaut werden, das die vorhandenen diesbezüglichen Ansätze in Bayern stärken wird.

Publikationen Christian Geiselmann: Der Aufschwung kommt von unten. Auch 14 Jahre nach der Wende leidet die Bulgarische Orthodoxe Kirche noch unter politischen Altlasten. In: Ost-West-Gegenveröffentlichungen (Graz) 4/2003. S. 28-36.

(Geht auf die Situation der Bulgarisch-Orthodoxen Kirche und ihre gesellschaftliche Rolle ein, wobei insbesondere die 1992 aufgetretene Spaltung in Ursachen und Folgen beleuchtet wird).

Download als pdf hier klicken!

Petar Kanev: Reigion in Bulgaria after 1989: historical and sociocultual aspects. In: South East Europe Review for Labour and Social Affairs No. 1/2002. P. 75-95.

Download als pdf hier klicken!

Für Mitarbeiter / za zatrudnici  Interview documents
 

forost-startseite     mitarbeiter     projekte     publikationen    forschung     bilder