Nationale Sprachpolitik und europäische Integration.
Tagungsbericht der forost Projektgruppe 2.III
forost Arbeitspapier 18
ISBN 3-9809264-2-7

Vorwort

Politik ist auf Sprache angewiesen, nicht nur um Standpunkte oder Programme zu artikulieren, sondern auch über den öffentlichen Diskurs einen Konsens herbeizuführen, einen Konsens darüber, was eine Gesellschaft im Sinne des Gemeinwohls verwirklicht sehen möchte. Sprache wird damit zum unentbehrlichen Medium der Politik, zu einer Instanz der Vermittlung, um mit ihrer Hilfe zu überzeugen und schließlich Schichten und Gruppen der Bevölkerung zu mobilisieren.

Was bedeutet dieser Befund für die Sprache? Zunächst einmal liegt es nahe, dass jegliche Politik Einfluss ausüben möchte und tatsächlich auch ausübt auf das Medium, dessen sie sich bedient, nämlich auf die Sprache, jedoch keineswegs auf irgendeine xbeliebige Sprache, sondern konkret auf "ihre Sprache", und dass dieser Einfluss sich in Herrschaft und entsprechende Maßnahmen betreffend die Sprache umsetzt, die sie als die "ihre" ansieht. Deutlich sichtbar wird hier ein Herrschaftsanspruch auf Sprache, der sich untrennbar mit Machtausübung auf Sprache und die Gruppe der Sprecher verbindet.

Wie kommt es historisch gesehen zu einem solchen Herrschaftsanspruch betreffend Sprache und warum wird Sprache zu einem "Objekt der Begierde", das heißt der Ausübung von Macht. Warum reicht die rein rationale, kommunikative Funktion von Sprache mit dem Ziel des gegenseitigen Verstehens zum Zweck gemeinsamen Handelns nicht aus? Eine solche rationale Funktion kann hinreichend jede Sprache erfüllen, auf die man sich aus zweckrationalen Gründen im Sinne einer Globalsprache, einer länderübergreifenden Umgangssprache einigen konnte und kann, wie das Griechische in der Alten Welt, das Latein als die bis in das 19. Jahrhundert gültige Sprache der europäischen Gelehrtenrepublik oder das Englische als Sprache der universalen Verständigung seit dem Zweiten Weltkrieg.

Mit dem 19. Jahrhundert habe ich bereits eine Epoche des Umbruchs benannt, in der Sprache und Politik eine gänzlich neue, sehr spezifische Verbindung eingegangen sind, eine Verbindung, die bis heute Probleme aufwirft, Grenzen zieht und Konflikte hervorbringt. Die Rede ist von der Nationsbildung und dem mit ihr untrennbar verbundenen Sprachnationalismus. "Muttersprache" wurde und wird insbesondere im östlichen Europa als die Quelle ethnischer bzw. nationaler Identität angesehen und ihr deshalb eine Bedeutung zugewiesen, die ideologisch überhöht bis heute nachwirkt und als Symbol wie als Vehikel bestimmter Prestige-, Identitäts- und Loyalitätsvorstellungen wirksam ist. Der Zusammenhang von ethnischer bzw. nationaler Identität und Sprache wurde mit dem Begriff der Sprachgemeinschaft umschrieben und dieser eine besondere integrierende Rolle zugewiesen. Mit den damit legitimierten assimilatorischen Bestrebungen angewandt auf fremd empfundene ethnische Gruppen innerhalb eines Staatsgebiets kann sich ein solcher Sprachnationalismus jedoch auch desintegrierend auf die Gesamtgesellschaft auswirken Darüber sind schon zahlreiche Staaten als Lösungsversuch für das politische Zusammenleben ethnisch heterogener Gruppen zerbrochen.

Sprachliche Homogenisierungsbestrebungen ziehen Grenzen und schaffen Konflikte, die als Interessenkonflikt interpretiert jedoch noch lösbar sind. Wenn wir freilich ethnisch definierte Sprachgrenzen als objektive Kategorie begreifen, erweisen sich die über die Sprache ausgetragenen Konflikte - weil ideologisch überhöht und gleichsam "sakralisiert" - als unlösbar. In ideengeschichtlicher Perspektive ist es bemerkenswert, dass die Romantik mit Herder einerseits die Muttersprachenideologie in ihre bis heute geltende Form gebracht hat, andererseits aber auch mit Schleiermachers "Hermeneutik" schon die Ansätze zu ihrer Überwindung geschaffen hat. Für das Problem der Sprache als ethnische Grenze bedeutet die Sprachauffassung der universalisierten Hermeneutik, dass die "Muttersprache" ein Standort ist, an den man sich binden kann, aber nicht binden muss. Um mit Gadamer zu sprechen: "Wer Sprache hat, hat die Welt", und das gilt schließlich für jegliche Sprache. Auf der Ebene des politischen Herrschaftssystems bedeutet die Widerlegung der Muttersprachenideologie, dass die "Muttersprache" eines Staatsvolkes, d.h. einer Bevölkerungsmehrheit, nicht zum Kriterium einer politischen Partizipation gemacht werden kann. Das bedeutet, dass prinzipiell niemand aufgrund seiner Sprache vom öffentlichen Diskurs über das Gemeinwohl ausgeschlossen werden darf.

(Gerhard Seewann)

Inhalt

1
Was ist Sprachpolitik? Theoretische Aspekte.
(Diane Mehlich) S. 7-16.

2
Sprachpolitk und Recht (Rainer Arnold / Nicola Grau) S. 17-26. 

3
Sprachpolitik in der Slowakei
(Jurai Dolník) S. 27-35.

4
Die Katholische Kirche in Rumänien unter besonderer Berücksichtigung der Moldauer Csángós
(Meinolf Arens) S. 35-46.

5
Sprachpolitik in der Republik Moldova
(Vasile Dumbrava) S. 47-59.



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