Sprache der Politik - Politik mit Sprache.
Tagung der forost Projektgruppe 2.IV
Universität Regensburg, 16.-17.4.2004

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Tagungsbericht Die von forost, vom Collegium Carolinum und vom Institut für Germanistik der Universität Regensburg veranstaltete Tagung der Gruppe 2.IV "Ethnischer Pluralismus und nationale Identitätspolitik im europäischen Kontext" widmete sich dem Thema "Sprache der Politik - Politik mit Sprache". Zum zweiten Mal stand also der Untersuchungsgegenstand Sprache im Mittelpunkt einer Konferenz im Rahmen von forost. Die als Ergänzung und Erweiterung der Tagung "Nationale Sprachpolitik und europäische Integration" (siehe forost Arbeitspapier Nr. 18 / Dezember 2003) von Peter Haslinger, Nina Janich und Diane Mehlich inhaltlich konzipierte beziehungsweise organisierte Veranstaltung gliederte sich in vier Abschnitte.

In der ersten Sektion wurden einleitende und theoretische beziehungsweise methodische Aspekte diskutiert, die wegweisend für die weiteren Panels wirken soll-ten. Klaus Bochmann (Leipzig) diskutierte in seinem Beitrag über "Sprache als Mittel des Politischen" die Ebene des politischen Handelns in ihrer Form als politische Diskursanalyse. Hier beleuchtete er besonders den Herrschaftsanspruch der Sprache, die immer als ein von "Sprachmachern" produziertes Kulturprodukt erscheine. Als Beispiel führte Bochmann hier die Sowjetära als "Meisterphase" eines aufgezwungenen, ausschließenden Diskurses an. Die gegenwärtig zu beobachtende Re-Nationalisierung respektive Re-Ethnisierung von Sprachpolitik führte Bochmann zur These der "Sprachpolitik als Ensemble politisch begründeter Eingriffe" zusammen. Auf jeden Fall müsse man die asymmetrischen, durch Sprache gestalteten Machtver-hältnisse reflektieren, um sie überwinden zu können. Ein Ansatz dazu könnte in einer stärkeren Betonung der historischen Diskursanalyse liegen, mit deren Hilfe man über die Terminologiediskussionen hinaus Texte in ihrer inhaltlichen Dimension erschließen könne, was zudem den interdisziplinären Charakter dieser gewinnbringenden Aufgabe fördern würde.

Die nächsten beiden Vorträge wandten sich methodischen Fragestellungen zu. Während Nina Janich (Darmstadt) das komplexe Geflecht von Sprachpolitik /Sprachenpolitik - Sprachplanung - Sprachstatusplanung - Sprachkorpusplanung und Sprachkultur definierte, richtete Peter Haslinger (München) sein Augenmerk auf das Verhältnis von Sprache und nationalem Diskurs. Vor dem Hintergrund der Genese des Diskursbegriffes analysierte Haslinger die Positionierung und Aktivierung von Sprache als Konstruktionsmittel nationaler Identität und untersuchte die Reichweite von Diskursen am Beispiel vielsprachiger Gesellschaften und die Frage einer möglichen Herstellung von Transparenz und gemeinsamer Gruppenidentität über Sprachgrenzen hinweg.

In den anschießenden drei Sektionen wurden jeweils drei Ergebnispräsentationen aus dem Bereich des Forschungsverbundes durch einen Kommentar zusammen-gefasst, den Vertreter von außerhalb des Forschungsverbundes formulierten, und dann gemeinsam diskutiert. Die zweite Tagungssektion drehte sich hierbei um den Aspekt der Politisierung von Sprachverhalten und der Ideologisierung von Sprache. Christiane Brenner (München) analysierte das Spannungsverhältnis von gesellschaftlichem Übergang und Übergangsgesellschaft im tschechischen öffentlichen Diskurs 1945 bis 1948. In einer Phase, in der die diskursiven Spielräume sehr eng gesteckt beziehungsweise vorgegeben waren, stellte sie einen hohen Grad begrifflicher respektiver sprachlicher Normierung im Kontext der Verwendung von Kollektivsymbolen fest - auch wenn die Wege zum Sozialismus begrifflich zum Teil noch vage formuliert waren wertete sie die Auseinandersetzungen als Bestandteil eines politischen Machtkampfes, der in Form eines erbitterten Deutungskampfes um die Diskurshoheit geführt wurde.

Anschließend spürte Marketa Spiritová (München) in ihrem Beitrag der narrativen Bewältigung der Normalisierungsjahre in der Tschechoslowakei durch tschechische Dissidenten nach und thematisierte die entsprechenden diskursiven Spielräume hinsichtlich ihrer zeitlichen Einordnung und gesellschaftlichen Zusammenhänge. Bei der Beantwortung der Frage darauf, wie die Menschen auf den politischen und gesellschaftlichen "Säuberungsprozess" reagierten, haben sich ihrer Ansicht nach zwei Handlungsmuster herauskristallisiert: einerseits das Einlassen auf den neuen - auch sprachlich normierten - "Gesellschaftsvertrag" und andererseits die Schaffung unabhängiger Strukturen im intellektuellen Milieu, das sich besonders durch einen Kampf gegen die "Herren der Wörter" auszeichnete und schließlich zu einer Persiflage der Sprache als Widerstandsmodell geführt habe. Der dritte Beitrag stammte von Diane Mehlich (Regensburg) zur Sprachenpolitik in Lettland seit 1991. In der Sowjetära sei der Sprachgebrauch des Russischen dominant, quasi eine zweite Muttersprache gewesen. In diesem Fall eines "asymmetrischen Bilingualismus" werde sehr klar der Einfluss von Sprache als Dominanzsymbol deutlich, da sich nach 1991 Lettisch durchsetzte und als Abgrenzungs- und Unterdrückungspolitik gegenüber Russen beziehungsweise russischsprachigen Personen instrumentalisiert worden ist. Die Sektion fand ihren Abschluss mit der kommentierenden Zusammenfassung von Björn Hansen (Regensburg), der insgesamt die Rolle von Sprache als Unterstützungsmedium der Politik unterstrich. Besonders betonte er in diesem Zusammenhang die Form des "Newspeak", also in Anlehnung an George Orwell eine gelenkte, dominierende Sprachform in den Medien, die mehr als eine bloße Propagandasprache sei.

In der dritten Sektion widmeten sich Armina Galijas, Meinolf Arens und Christian Geiselmann (alle München) der Bedeutung von Sprache als Integrationsfaktor. Am Beispiel von Banja Luka analysierte Galijas die Bedeutung des öffentlichen Sprechens als Diskursinstrument in der konflikthaften politischen und gesellschaftlichen Ausnahmesituation, die ein großes Fremdmobilisierungspotential aufwies, das wiederum durch eine stark ausgeprägte nationale Erinnerungspolitik aufgeladen wurde. Fragen der kollektiven Identität ging auch Arens in seinem Vortrag über lokale Sprachenpolitik am Beispiel der Karpato-Rusinen nach, die er deutlich als Entwicklung einer Nationswerdung im 20. Jahrhundert charakterisierte, die eindeutige Prallelen zum nation building-Prozess des 19. Jahrhundert aufwies Die Folie des politischen und gesellschaftlichen Transformationsprozesses in Bulgarien wählte Geiselmann, um am Beispiel eines Deutungskonfliktes innerhalb des bulgarischen Klerus, der bis zum Priestermord eskalierte, die wirkmächtige Relevanz sprachlicher Repräsentation zu verdeutlichen. Christian Prunitsch (Regensburg) stellte in seinem Kommentar die sehr produktive Frage, inwieweit Nationsbildungsprozesse von Sprachbildungsprozessen beeinflusst werden und umgekehrt. Er hinterfragte außerdem, ob sich das nation building des 19. Jahrhunderts auf ähnliche Entwicklungen im 20. Jahrhundert übertragen lasse.

Politikfreie Kommunikation in politikfernen Milieus: Diese fast schon provozierende These bildete den thematischen Rahmen der vierten und letzten Sektion der Konferenz, die vor allem Europabezüge aufgriff. Rainer Arnold (Regensburg) behandelte die hinter nationalen und europäischen Rechtsterminologien stehenden politischen Leitkonzepte. Am Beispiel des europäischen Integrationsprozesses, der auch versprachlicht werden muss, schilderte er ausführlich den Vorgang der nationalen Umsetzung von auf der supranationalen politischen Ebene gesetzten und als für alle Mitgliedstaaten verbindlich betrachteten Begriffen. Der Import von Begriffen könne im besten Fall zu einer Begriffserweiterung führen, der begriffsmäßige Oktroy gehe jedoch fast immer mit konfliktuösen Interpretationen zwischen europäischen und nationalen Akteuren einher, die nach Ansicht von Arnold dennoch letztlich in eine allgemeine Begriffsharmonisierung münden können. Daran anschließend betrachtete Marek Nekula (Regensburg) in seiner Untersuchung die Wirkung von Stereotypen im Bereich der interkulturellen Wirtschaftkommunikation. Am Beispiel der Skoda-Werke in Pilsen analysierte er die Bedeutung der Unternehmenssprache Deutsch, die trotz der geringen Zahl der Sprecher in dem Unternehmen dominiere, was auf die Machtverhältnisse im Management zurückzuführen sei. Die Verfestigung, Wirkung und Wahrnehmung der deutschen Sprache als Teil eines Herrschaftsstatus führe dabei auch zu einer Aktualisierung von Stereotypen: die soziale Hierarchisie-rung bedinge eine Hierarchisierung der Sprache.

Anita Unterholzner (Regensburg) spitzte die übergeordnete Fragestellung ihrer Sektion im letzten Vortrag der Tagung noch einmal auf die Frage zu, ob Politik überhaupt noch die Jugend anspreche. Angesichts stark veränderter digitaler Kommu-nikationskanäle wie SMS oder Email müsse zwar die Frage gestellt werden, wo der Ort ist, in dem über kurze, codierte private Mitteilungen hinaus über Politik gesprochen werde. Von einer generellen Politikverdrossenheit bei Jugendlichen - so der vielleicht überraschende Befund des von ihr vorgestellten Interviewprojekts - könne allerdings nicht die Rede sein. Die Befragten fühlten sich zwar von der "fernen Politik" im Wesentlichen verlassen, wendeten sich jedoch alternativ zivilgesellschaftlichen Initiativen zu. In ihrem Kommentar verwies schließlich Erika Lindig (Regensburg) noch einmal auf die politische Immanenz des sprachlich Gebundenen: Sprache sei, so Lindig, Politik, und Sprache sei Herrschaft.

(K. Erik Franzen, Projekt 2.IV.4)



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