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Das Serbokroatische war in
Titos Jugoslawien stets Gegenstand kontroverser
Diskussionen. Das wichtigste Thema der
Sprachwissenschaft und -politik war die Frage, ob
Serbokroatisch eine polyzentrische Sprache sei,
und wenn ja, ob die polyzentrische Entwicklung
fortgeführt werden dürfe oder sogar solle oder
nicht.Die ersten zwei Jahrzehnte des
sozialistischen Jugoslawien sind vor allem von
den Anstrengungen der serbischen
Sprachwissenschaftler geprägt, für das
Serbokroatische das Konzept einer einheitlichen
Sprache zu entwickeln, in der die Differenzen
zwischen den Sprachvarietäten im Bewußtsein der
Sprecher an Bedeutung verlieren bzw. in der
Sprachpraxis überwunden werden sollten. Die
kroatische linguistische Prominenz zeigte sich
jedoch skeptisch gegenüber den Eingriffen in
bestehende standardsprachliche Traditionen. Seit
Mitte der sechziger Jahre setzte sich das von den
kroatischen Linguisten erarbeitete Konzept der
Varianten durch, in dem Varianten als
"Adaption der einheitlichen Standardsprache
an die Tradition und an die modernen Bedürfnisse
von Nationen" definiert wurden. Trotz der
weitgehenden Anerkennung des Variantenkonzepts
durch Philologen und Politiker im gesamten
serbokroatischen Bereich blieben viele bedeutende
Fragen unbeantwortet, vor allem die, wie viele
Varianten es gibt und welchen Status sie haben
sollten. Durch
die Variantentheorie und die Behandlung, die die
Sprache in Bosnien und Herzegowina im Rahmen
dieser Theorie erfuhr, gerieten die bosnischen
Philologen unter Zugzwang. Sie begannen, ihre
Sprache zu beschreiben, um selbst deren Lage im
Variantensystem zu bestimmen. Brisante Themen
kamen dabei zum Vorschein, es wurde
beispielsweise Kritik an der herrschenden
sprachpolitischen Praxis der Medien und der
Universität in Sarajevo geäußert, einer
Praxis, die in erster Linie die Charakteristika
der serbischen Variante protegiert hätte.
Die bosnischen Politiker erkannten die
Explosivität der Debatten und bemühten sich von
nun an - zusammen mit einigen führenden
Linguisten -, eine eigenständige, für ihre
Vielvölkerrepublik angemessene Sprachpolitik zu
formulieren. Um die bosnische Sprachvarietät aus
dem Zusammenhang des serbisch-kroatischen
Sprachstreits zu lösen, in dem sich die Sprache
zu einem wesentlich nationalen Symbol entfaltete,
lehnten es die Bosnier ab, den Begriff der
Varianten auf die Sprachsituation ihrer Republik
anzuwenden. Stattdessen wurde ein Modell des
"bosnisch-herzegowinischen
standardsprachlichen Ausdrucks"
ausgearbeitet, das Offenheit gegenüber den
Varianten aus den Nachbarrepubliken, zugleich
aber auch die Förderung spezifisch bosnischer
Sprachcharakteristika beinhaltete. Toleranz wurde
als oberstes sprachpolitisches Prinzip
postuliert. Trotz dieser immer wieder
proklamierten Toleranz kam es nicht zu einer
tiefgreifenden Debatte über Widersprüche und
Mängel des sprachpolitischen Konzeptes bzw. der
sich aus ihm ergebenden Praxis, auch deshalb
nicht, weil man die Grundsätze der Sprachpolitik
praktisch zum Heiligtum erklärte.
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