vortrag    
  Aleksandar Jakir: Nationale Ideologien im sozialistischen Jugoslawien
  Im zweiten föderativen und sozialistischen Jugoslawien unter der charismatischen Führung Titos hatte man versucht aus den Fehlern der ersten mißglückten Staatsgründung zu lernen und die herrschenden Kommunisten verzichteten darauf, mit Gewalt die verschiedenen Völker zu einem zu erklären. Vielmehr suchte der Bund der Kommunisten Jugoslawien propagandistisch als Garanten von "Brüderlichkeit und Einigkeit" zwischen den Nationen und als historische Unumgänglichkeit darzustellen. Nicht zuletzt sollte der kommunistische Machtanspruch dadurch legitimiert werden, daß es erst im und durch das sozialistische Jugoslawien zu einer gerechten und definitiven Lösung der "nationalen Frage" gekommen sie. Mit der Verfassung von 1974 verankerte der sozialistische Vielvölkerstaat schließlich weitestgehende Autonomierechte für die Nationen und Nationalitäten, die auf dem Gebiet seiner sechs Republiken (denen nun Staatscharakter zugesprochen wurde) und zwei autonomen Provinzen lebten. Das Scheitern des ambitionierten Entwicklungsprogramms aber, das spätestens seit der Wirtschaftskrise Anfang der 1960er Jahre deutlich geworden
war, welches das ererbte Entwicklungsgefälle zwischen den verschiedenen Regionen ausgleichen sollte, hatte zu einem Verteilungskonflikt zwischen den Republiken (die zu neuen Machtzentren avanciert waren) geführt. Hinter der "Nebelwand des Nationalismus" (Georg Elwert) und der nationalen Ideologien verbargen sich manifeste Interessengegensätze. Die im "Kroatischen Frühling" des Jahres 1971 kulminierenden Entwicklungen in der kroatischen Teilrepublik und die dort entstandene "nationale" "Massenbewegung" machten die Sprengkraft nationaler Ideologien deutlich. Auch wenn es Tito noch einmal gelang diese Bewegung zu ersticken, war doch nach seinem Tod offensichtlich, daß das System, für das er stand, die sich verschärfende ökonomische und politische Krise nicht mehr zu bewältigen vermochte. Mit dem Zusammenbruch der bipolaren Weltordnung, die auch die äußeren Existenzbedingungen des jugoslawischen Staates dramatisch veränderte, und der immer desolateren wirtschaftlichen Situation nahmen auch die inneren Konflikte zwischen den Republiken zu. Wiederum waren es Nationalismus und nationale Ideologien, die als identitätsstiftende Mobilisierungsideologie von den Machteliten in den Republiken für die Stabilisierung ihrer Position instrumentalisiert wurden, was schließlich zur Aufkündigung des föderalen jugoslawischen Grundkonsenses und zum Untergang auch des zweiten jugoslawischen Staates führte.