jahres bericht 2001 (auszug)
 Vorwort
 


forost: ein interdisziplinärer Forschungsverbund in Entstehung und Konsolidierung

Helga Schubert

Seit 1988 wird in Bayern mit dem Konzept der Forschungsverbünde eine forschungspolitische Zielsetzung verfolgt, die den Aufbau von fächerübergreifenden Kompetenznetzen ermöglicht. In einem solchen Forschungsverbund arbeiten Wissenschaftler aus mehreren Universitäten gemeinsam mit Vertretern aus Wirtschaft, Gesellschaft und Politik an Lösungen komplexer Problemstellungen. Die Effizienz und Anwendungsorientierung der Forschung wird so durch Bündelung des vorhandenen Potenzials über institutionelle, regionale und disziplinäre Grenzen hinweg gefördert und gesteigert sowie in Dienstleistungen und innovative Prozesse überführt. Das Bayerische Staatsministerium für Wissenschaft, Kunst und Kultur hat neben den zahlreichen naturwissenschaftlich-technischen Forschungsverbünden im Frühjahr 2001 mit der Finanzierung von forost  (Fördervolumen ca. 1,3 Mio €) eine sozialwissenschaftliche Problemstellung als neuen Arbeitsschwerpunkt in dieses Förderprogramm aufgenommen.

Der Forschungsverbund forost befasst sich unter dem Gesamtthema "Wandel und Kontinuität in den Transformationsländern Ost- und Südosteuropas" in seiner ersten Phase (2001-2003) vor allem mit drei Themengruppen: Transformation vor dem Hintergrund der Osterweiterung der EU Kulturen im Postsozialismus: Voraussetzungen und Veränderungen Nationale Identität, ethnischer Pluralismus und internationale Beziehungen Professoren und wissenschaftliche Mitarbeiter aus den Universitäten Bayreuth, Eichstätt, München, Regensburg, aus den außeruniversitären Forschungsinstituten Institut für Ostrecht, Osteuropa-Institut, Südost-Institut und Ungarisches Institut (alle in München) erarbeiten Analysen zu diesen Themenfeldern in 18 Teilprojekten. Sprecheruniversität ist die LMU in München. Auch auf Seiten der Partnerländer sind Universitätsinstitute und andere nichtuniversitäre Institutionen in die Projekte einbezogen. Gemeinsame Treffen und Kolloquien, Austausch von Daten, methodischen Erfahrungen und die Organisation interdisziplinärer Veranstaltungen garantieren die fach- und projektübergreifende Kommunikation und Kooperation.

Als Ergebnis werden Aussagen in den folgenden Bereichen erwartet: Folgewirkungen der Transformation und Öffnung der ehemaligen Planwirtschaften und der dadurch entstandene Konkurrenz- und Migrationsdruck für Unternehmen und Bevölkerung in Bayern, Erkenntnisse über Rechts- und Finanzsysteme sowie soziokulturelle Rahmenbedingungen, die bayerische Unternehmer vorfinden, wenn sie sich in den ehemaligen Planwirtschaften engagieren (wollen), Empfehlungen, die in die Beratung bayerischer Politik gegenüber den Transformationsländern einfließen können.

Mit der Osterweiterung kommen auf Europa, Deutschland und Bayern Herausforderungen zu, die nicht über die EU-Regularien allein bewältigt werden können. Die Integration Europas wird durch Menschen zu leisten sein, und um sie erfolgreich zu bewältigen, ist vielfältiges Know-how notwendig. Die notwendige Expertise umfasst ökonomische, juristische, kulturelle, ethnologische und ethnographische Fragestellungen, muss aber eben so konkrete Kenntnisse ost- und südosteuropäischer Länder und Sprachen einschließen. 

Bereits in den Studien und Ergebnissen der einzelnen Fachbereiche werden wertvolle Detailkenntnisse über die Voraussetzungen und Bedingungen einer europäischen Integration erarbeitet, in der Kooperation aber können diese Einzelergebnisse sich höchst komplexen Fragen zuwenden. Beispielsweise können in eine Untersuchung zum Phänomen „Vertrauen" Segmente aus allen Teilgebieten einfließen: 

  • Vertrauen in Verfassung und Rechtssprechung, 

  • Vertrauen in politische Institutionen und administrative Vorgänge,

  •  Vertrauen als soziale und religiöse Verhaltensgrundlage, 

  • Vertrauen in eine Währung und das Bankensystem, 

  • Vertrauen als Basis für Investitionen, 

  • Vertrauen in internationale und überregionale Kontakte und Abkommen, 

  • Vertrauen als Grundlage für interkulturelle und interethnische Kommunikation und Kooperation.

Die Kombination der Fragestellungen und jeweiligen Studienergebnisse ermöglicht ein differenziertes Bild, das einzelne Faktoren – sowohl im Bereich "harter Fakten" wie auch Fragen der Wahrnehmung und unreflektierter Verhaltenskodices – so zusammenzusetzen vermag, dass sie der jeweiligen Problemlage entsprechen. Einen Osteuropa-Forschungsverbund dieser Größenordnung gibt es bisher nur in Bayern.

Im Rahmen der Einzelprojekte werden vielfältige Kontakte zu Institutionen und Wissenschaftlern in den osteuropäischen Partnerländern gefestigt oder neu geknüpft, und es werden auch dort interdisziplinäres Denken und Kooperieren angeregt. forost  ist über die interne Vernetzung hinaus am Austausch mit Wissenschaftlern und Praktikern in unserem Themenfeld interessiert und bringt sich in andere Initiativen und Projekte konstruktiv ein.

Über die Geschäftsstelle konnten in den vergangenen Monaten erste Kontakte mit nahezu allen in München mit Osteuropa befassten Instituten, einzelnen Firmen, der Industrie- und Handelskammer, der Staatskanzlei sowie Vertretern der Medien und einzelner Referate der Stadtverwaltung geknüpft werden. Der Bogen reichte von der Bayerischen Vertretung der Europäischen Union über die Südosteuropa-Gesellschaft bis zum Collegium Carolinum und themenverwandten Universitätsinstituten. Auch erste Kontakte und Kooperationen mit Wirtschaftsunternehmen konnten realisiert werden. Stellvertretend seien hier vor allem Siemens und seine Aktivitäten in Osteuropa und die Initiative der swiss-re den CEN-Markt (Central-, Eastern-, and North-Europe) zu erschließen, bei der forost beratend und unterstützend beteiligt war und ist. All diese Kontake sollen in den nächsten Monaten weiter gefestigt und auf Kooperationsmöglichkeiten überprüft werden.

In einem einem unregelmäßig erscheinenden Mitteilungsblatt wird forost -intern die verbundweite Information gesichert. 

forost war auch massgeblich an der Gründung einer Initiative Münchner Osteuropa-Forscher, einem Zusammenschluss verschiedener Institutionen auf Arbeitsebene beteiligt. Ferner wurde ein Stammtisch Münchner Studenten und Wissenschaftler aus unterschiedlichen Disziplinen initiiert, die sich mit der Region Ost- und Südosteuropa befassen.

Mitte März wurden bei einer Evaluierungskonferenz erste Zwischenergebnisse vorgestellt und projektübergreifend diskutiert. Dank der Unterstützung des Ministeriums können die Kommunkations- und Kooperationsfähigkeiten und -möglichkeiten der jungen Osteuropaforscher und damit die grenz- und disziplinüberschreitende Netzwerkbildung der heranwachsenden "Europäischen Generation" gefordert und gefördert werden. Für all diese Möglichkeiten sei an dieser Stelle dem Bayerischen Forschungsministerium herzlicher Dank ausgesprochen.

 Inhaltsverzeichnis

forost: ein interdisziplinärer Forschungsverbund in Entstehung und Konsolidierung (5)

Gruppe I. Transformation vor dem Hintergrund der Osterweiterung der EU (7)

  1. Alltagskultur im Sozialismus; Praktiken und Strategien des Alltagslebens in den sozialistischen Ländern und ihre Folgen für die Transformation  (11)

  2. Neue Migrationen aus Osteuropa und den Nachfolgestaaten der UdSSR nach Deutschland: Ursachen, Tendenzen und Konsequenzen  (19)

  3. Die Bedeutung der Verfassungsgerichtsbarkeit für den Transformationsprozess in Mittel- und Osteuropa  (23)

  4. Justizreformen in Osteuropa als Teil der Systemtransformation  (37)

  5. Auswirkungen der Privatisierung von Staatsbetrieben in der Tschechischen Republik und Ungarn  (46)

  6. Rolle des Bankensektors für die Unternehmensfinanzierung und -restrukturierung in den Transformationsländern (56)

  7. Perspektiven der Währungsbeziehungen zwischen der Europäischen Währungsunion (EWU) und den mittel- und osteuropäischen EU-Beitrittskandidaten (61)

Gruppe II. Kulturen im Postsozialismus: Voraussetzungen und Veränderungen  (69)

  1. Untersuchungen zum Sprachbewusstsein in Kroatien (75)

  2. Die Rolle der Geschichte und des Geschichtsbewusstseins in der Ukraine nach dem Zerfall der Sowjetunion  (80)

  3. Das Bild Europas in den Schulbüchern der Ukraine. Von den bisherigen Stereotypen zu neuen Sichtweisen (87)

  4. Sprach- und Kulturwechsel in Mittel- und Osteuropa (nach 1968) als Modelle transnationaler Identitäten  (91)

  5. Das Deutschland- und das Russlandbild in der polnischen Nachkriegsliteratur im Spannungsgefüge zwischen Bruch und Kontinuität  (100)

  6. Kulturverständnis im postsozialistischen Russland: Modelle und Traditionen  (112)

  7. Kirchen im Spannungsfeld politischer Transformationen. Soziokulturelle Wirkungsgefüge der Kirchen in der Ukraine von 1944 bis zur Gegenwart  (119)

Gruppe III Die Herausbildung eines Datenbankschwerpunktes (125)

  1. Datenbank zur Minderheitenproblematik und zu ethnischen Gruppen Südosteuropas „Ethnodoc"  (126)

  2. Quellen und Materialien zur Beziehungs- und Integrationsgeschichte in Ostmittel- und Südosteuropa im 20. Jahrhundert unter besonderer Berücksichtigung Ungarns, der Minderheitenfrage und der europäischen Integration  (134)

  3. Sprachkultur und Sprachkultivierung in Osteuropa –  Analyse und paradigmatischer Vergleich (141)

  4. Die deutsch-bulgarischen Wirtschaftsbeziehungen 1918-1944 und ihre Bedeutung für die Kooperation zwischen der Bundesrepublik und dem postsozialistischen Bulgarien  (153)

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