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Serbisch

Allgemeines

Die politischen Umwälzungen, die 1990 eingetreten sind (vgl. Statusänderungen) haben die Veränderungen der serbischen Sprache in ihrer Struktur nur geringfügig beeinflusst. Zum Wechsel kam es in der Lexik, Orthographie (eine Zeit lang wurden sogar drei unterschiedliche Rechtschreibungen verwendet) und in der gesamten Sprachpolitik. Auf der einen Seite setzte sich der Auflösungsprozess der Standardsprache fort, auf der anderen Seite wurde bewusst an ihrer Vereinheitlichung gearbeitet. Heute koexistieren mindestens fünf idealtypische, soziolinguistische Modelle in der serbischen Linguistik:

(1) das panserbisch-nationalistische Modell: es existiere nur die serbische Sprache, wobei die Kroaten und Bosniaken die Serben katholischer bzw. islamischer Konfession seien; die kroatische Schriftsprache sei die Zagreber Variante der serbischen Schriftsprache; die bosnische Schriftsprache sei die Sarajevoer Variante der serbischen Schriftsprache; (2) das einheitliche Modell: nur die ekawische Aussprache und die kyrillische Schrift gehörten zur serbischen Sprache; (3) das Kontinuitätsmodell: das Serbische sei das Produkt einer unterbrochenen Serbisierung und Entwicklung; (4) das montenegrinische Modell: Serbisch sei ekawisch, montenegrinisch sei ijekawisch; (5) das polyzentrische Modell: unorganisches Standardidiom mit phonetisch-graphischer Doppelung und vielfältigen Funktionen.

Diese sprachideologischen Kontroversen führten dazu, dass die serbische Standardsprache zum ersten Mal in ihrer Geschichte staatlichen Interventionen unterworfen war. Die offizielle serbische Politik, die sich die Vereinigung aller serbischsprachigen Länder und des Serbentums zum Ziel gesetzt hatte, wollte dies bewerkstelligen, indem sie die serbisch-ijekawische Aussprache, die ijekawische hinterlassene Literatur und die lateinische Schreibweise zu eliminieren versuchte und im gesamten serbischsprachigen Raum nur noch Ekawisch und die kyrillische Schrift gelten sollten. So verordneten die Machthaber in der bosnischen Republika Srpska im offiziellen Sprachgebrauch nur das Ekawische und die kyrillische Schreibweise. In der sog. Republika Srpska Krajina (in Kroatien) wurden sogar alle Lehrbücher aus Serbien übernommen. Die kroatische Republika Srpska Krajina verschwand 1995 von der Landkarte; in der bosnischen Republika Srpska hat das Verfassungsgericht das Sprachgesetz über die Amtssprache als verfassungswidrig erklärt, sodass man 1999 auch dort zur ursprünglichen ijekawischen Aussprache überging.

Unterdessen streiten sich die Serben weiterhin um die Rechtschreibreform und die Sprachplanung. Zur Klärung der verworrenen Situation wurde 1997 ein übergreifender Ausschuss für die Standardisierung der serbischen Sprache gebildet. Seine Aufgabe ist es, neben der Ausarbeitung kodifizierter Lösungen gemeinsame Richtlinien in der Sprachpolitik zu erlassen, wobei sich der Ausschuss in seiner Vorgehensweise am polyzentrischen Modell orientiert. In jüngster Zeit hat man in den serbischsprachigen Ländern der Sprachkultur mehr Aufmerksamkeit geschenkt als früher. Diesem Thema sind nicht nur eine Vielzahl von Büchern gewidmet, sondern auch einige neue linguistische Zeitschriften. Der Serbistik stehen dennoch große Aufgaben bezüglich der Kodifizierung der Sprache bevor, denn die serbische Standardsprache ist eine der wenigen slawischen Standardsprachen, die keine modernen Standardhandbücher besitzt.