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Weißrussisch

Sprachperioden

Altweißrussische Epoche

Im späteren weißrussischen Sprachraum begann wie im übrigen ostslawischen Raum mit der offiziellen Einführung des Christentums (988) eine Periode der Diglossie. Als Prestigeform und für die Literatur im eigentlichen Sinne allein würdiges Idiom galt das aus Bulgarien übernommene Altkirchenslawische. Auf der Basis des noch relativ einheitlichen gesprochenen Ostslawischen entstand eine geschriebene Geschäftssprache, die in der folgenden zweiten Periode (ab der Mitte des 13. Jhs.) offizielle Sprache des kulturell slawisch dominierten Großfürstentums Litauen (das auch die spätere Ukraine umfasste) war und am Ende des 17. Jhs. durch das Polnische abgelöst wurde. Daneben existierte das Kirchenslawische weiter, es ist die Sprache der von F. Skaryna gedruckten 23 Bücher des Alten Testaments (Prag 1517-1519). Gleichzeitig begann auch eine Adaptation des Kirchenslawischen als „einfache Sprache“ an die Volksprache. Mit dem Übergreifen der Reformation entstanden Übersetzungen des Katechismus (Symon Budny 1562) und von Teilen des Neuen Testaments (Vasil’ Cjapinskij 1570) in das volkssprachliche Weißrussische. Im selben Jahrhundert übersetzte man auch Ritterromane (Tristan, Alexandreis, Trojaroman u. a.) ins Weißrussische, in deren Sprache der polnische Einfluss z. T. sehr spürbar ist. Mit zunehmender Polonisierung der bildungstragenden Schichten sank das Weißrussische zum bäuerlichen Idiom herab. Im schriftlichen Gebrauch herrschten das Polnische, in der unierten Kirche das Kirchenslawische vor. Nach der Eingliederung der weißrussischen Gebiete im Zuge der polnischen Teilungen wurde das Russische allmählich zur herrschenden Schriftsprache.

Neuweißrussische Epoche

Erste Anfänge eines erneuten literarischen Gebrauchs des Weißrussischen fallen in das zweite Drittel des 19. Jhs. (Travestien antiker Stoffe). Die wenigen, meist dem Adel entstammenden Schriftsteller waren oft zweisprachig (polnisch und weißrussisch). Nach dem letzten polnischen Aufstand gegen die Zarenherrschaft (1863/1864) verstärkte sich der Russifizierungsdruck. Es bestand ein Druckverbot für Texte in weißrussischer Sprache, die offiziell als Dialekt des Russischen galt. Erst seit den 90er Jahren des 19. Jhs. entwickelte sich das weißrussische Schrifttum kontinuierlich und es kam zu Äußerungen des nationalen Sprachbewusstseins. Nach der ersten russischen Revolution 1905/06 fielen die Druckbeschränkungen. Dennoch kam die Standardisierung der Schriftsprache, die vorwiegend auf den südwestweißrussischen Mundarten beruht, nur langsam voran. Das Weißrussische hatte nach wie vor keinen Zugang zur Schule, seine soziale Basis war schmal und schwach (Kleinadel, wenige Aufsteiger aus der Bauernschaft), in den Städten hatte es eine Randfunktion; Amts- und Kultursprache war das Russische. Bessere Voraussetzungen für eine Standardsprache gab es seit 1916: die Anerkennung des Weißrussischen als Landessprache im besetzten Teil Russlands durch die deutsche Militärverwaltung Ober-Ost und die Gründung der kurzlebigen Weißrussischen Volksrepublik (1918).In der Belorussischen Sowjetrepublik (seit 1919) wurde in den 1920er Jahren die Беларусiзацыя (Weißruthenisierung) betrieben, die u. a. die Durchsetzung des Weißrussischen als Behördensprache und Unterrichtssprache in Schulen, Hochschulen und Wissenschaftsinstitutionen zum Ziel hatte. Zum Ausbau und zur Konsolidierung einer weißrussischen Standardsprache wurden entsprechende Institutionen geschaffen. Aber schon 1930 entflammte der Kampf gegen den „bürgerlichen Nationalismus“, die „Nationaldemokraten“, der mit der Verbannung und z. T. der Ermordung fast aller weißrussischer Sprachwissenschaftler (und auch zahlreicher Schriftsteller und anderer Intellektueller) endete. Erst seit den 1950er Jahren kam es zu einer gewissen Konsolidierung des geistigen Lebens. Die in den 1920er Jahren angestrebten gesellschaftlichen Funktionen konnte das Weißrussische aber nicht besetzen.

Bereits Chruschtschow stellte die Existenz der weißrussischen Schriftsprache in Frage. In der Breshnew-Ära führte die Doktrin vom „Sowjetvolk“ als neuer überethnischer Gemeinschaft mit dem Russischen als Verkehrssprache zur zunehmenden Verdrängung des Weißrussischen aus dem Bildungswesen, der Wissenschaft, der Verwaltung, der Wirtschaft und dem öffentlichen Leben und zu seiner Beschränkung auf die Literatur und die weißrussische Philologie.Während der „Perestrojka“ formierte sich der Widerstand gegen diese Entwicklung. Mit dem Sprachgesetz (1990) wurde das Weißrussische zur alleinigen Staatsprache erhoben und seine zukünftigen Anwendungsbereiche beschrieben. Zu seiner Realisierung wurden u. a. auch die Aufgaben der 1980 wieder berufenen Terminologischen Kommission an der Akademie wesentlich erweitert. Schon fünf Jahre später brach die hoffnungsvolle Entwicklung (Einführung des Weißrussischen in vielen Schulen und Kindergärten, schrittweiser Übergang der Behörden zum Weißrussischen) ab, als durch ein vom Präsidenten A. Lukašėnka initiiertes Referendum auch das Russische den Status einer Staatssprache erhielt. Seitdem wurde der Gebrauch des Weißrussischen immer weiter eingeschränkt; 1999 wurden in der Hauptstadt Minsk (1,7 Mio. Einwohner) nur noch 8,4% der Schüler auf Weißrussisch unterrichtet.