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Weißrussisch

Allgemeines

Sowohl für Sprachkultur als auch für Sprachkultivierung des Weißrussischen lassen sich bestimmte Perioden festlegen: 1) 1916-1930, 2) 1930-Anfang der 1950er Jahre, 3) Anfang der 1950er – Ende der 1980er Jahre, 4) seit 1990.

1) In der ersten Periode stand zunächst, wie bereits dargetan, eine elementare Kodifikation der Rechtschreibung und der Formenbildung im Vordergrund, die mit Anwachsen des Korpus von standardsprachlichen Texten über die künstlerische Literatur hinaus immer stärker auf den Usus zurückgreifen konnte. Da aber das Weißrussische bis heute vor allem in der Literatur existiert, hat Sprachkritik vor allem den Sprachgebrauch von Schriftstellern als Gegenstand; noch in den 1960er Jahren wird z. B. die Verwendung von morphologischen und lexikalischen Dialektismen getadelt. Besondere Institutionen für die Sprachkultur gab es weder in der ersten noch in späteren Perioden. Fragen der Sprachkultur wurden von den Linguisten an der Akademie und an Universitäten im Zusammenhang mit normorientierten Beschreibungen der Standardsprache mitbehandelt. Eine institutionelle Sprachberatung existiert bis heute nicht. Mit der Sprachkultur, insbesondere der Rechtschreibung, befasste sich in der ersten Periode der Schriftsteller und Linguist J. Lësik, der auch Empfehlungen zu syntaktischen Erscheinungen gab. Das Interesse der Schriftsteller, die sich vorwiegend in der Literaturzeitschrift Узвышша äußerten, galt vor allem der Erweiterung und Differenzierung der Ausdrucksmöglichkeiten im Bereich des Wortschatzes. Ausdruck der puristischen Bestrebungen waren Vorschläge zur Aufnahme von Dialektwörtern, Bildung von Neuwörtern und Versuche der Wiederbelebung von Wortgut aus dem altweißrussischen Schrifttum.

2) Die zweite Periode war sprachpolitisch bestimmt; im Vordergrund stand die Bekämpfung der Distanzierungsversuche vom Russischen, die als Bildung von „künstlichen Wörtern“ und „Verschmutzung des Wortschatzes“ bzw. als „konterrevolutionär“ qualifiziert wurden. Außerhalb der Belorussischen SSSR, in dem Teil des weißrussischen Sprachgebietes, das im Frieden von Riga Polen zugesprochen wurde, setzten die Bemühungen um Standardisierung des Weißrussischen und höhere Sprachkultur die von der Zeitung Наша нiва, A. Luckevič, B. Taraškevič u. a. begründete Tradition fort. Hier erschien auch die sprachkulturelle Zeitschrift Роднае слова. Da die westweißrussische Form der Standardsprache in der Zeit der Besetzung des Landes (1941-1944) durch Nazideutschland in Zeitungen und Schulen verwendet wurde, war sie nach dem Kriege völlig diskreditiert, und diese Belastung wird auch in der heutigen Polemik um die Entwicklungsrichtung des Weißrussischen von den „Traditionalisten“ gegen die „Erneuerer“ als Argument für die Weiterführung der Tradition von 1933 ins Feld geführt.In der Belorussischen SSSR erschienen einige wenige Veröffentlichungen zur Sprachkultur erst wieder am Ende der 1930er Jahre.

3) Mit Beginn der dritten Periode zu Anfang der 1950er Jahre lebte die Rechtschreib-Diskussion wieder auf – diesmal unter maßgeblicher Beteiligung des Akademie-Instituts (Інстытут мовазнаўства імя Якуба Коласа) –, flaute jedoch 1957 mit der Korrektur der Regeln von 1933 zunächst wieder ab. Mit einem Buch von F. Jankoŭski (1961) rückte dann erstmals die Orthoepie in den Vordergrund. Das mit einem kleinen Verzeichnis von Wörtern mit Aussprachebesonderheiten bzw. -schwierigkeiten versehene kleine Werk erlebte bis 1976 vier Auflagen. Ein großes Wörterbuch der orthographischen, orthoepischen und morphologischen Sprachrichtigkeit, redigiert von M. V. Biryla, erschien endlich 1987. F. Jankoŭski war der erste weißrussische Linguist, der sich kontinuierlich mit allgemein verständlichen Büchern (1961, 1972, 1986), die in musterhafter essayistischer Sprache abgefasst sind, an ein breites Publikum wandte. Seit Mitte der 1960er Jahre gab es Beiträge zur Sprachkultur in der Lehrerzeitung Настаўнiцкая газета, in der Literaturzeitschrift Полымя und in der Parteizeitung Звязда, die sogar eine Rubrik „Farben der Sprache“ einrichtete. Außer Jankoŭski äußerten sich die Sprachwissenschaftler A. Kaŭrus, A. Michnevič, P. Scjacko, I. Lepešaŭ u. a. kontinuierlich zu Problemen der Sprachkultur mit Kritik und Empfehlungen. Neben der Einhaltung der Systemnormen, für die nun auch die funktional bestimmte Realisierung in Varianten akzeptiert wurde, thematisierte man zunehmend die Kultur der Sprachverwendung und kritisierte die oft unnötige Calquierung und Nachahmung russischer Bezeichnungen und Ausdrucksweisen. Seit 1982 erschienen aperiodische Sammelbände mit Beiträgen zur Sprachkultur in den weißrussisch- und russischsprachigen Zeitungen (insgesamt sechs bis 1992), in denen u. a. die Schablonenhaftigkeit des Ausdrucks bemängelt wurde. Das Akademie-Institut für Sprachwissenschaft gab seit 1972 die Halbjahresschrift Беларуская лiнгвiстыка heraus, in der ab dem 13. Heft kleine Notizen zu Sprachrichtigkeit und Sprachgebrauch veröffentlicht wurden. Seit Mitte der 1970er Jahre fand die Sprachpflege auch Raum in der Kulturzeitung Лiтература i мастацтва, die in der „Perestrojka“ zum Meinungsführer in der sprachpolitischen Auseinandersetzung über den Status und den Zustand des Weißrussischen wurde. Insgesamt blieb die Bilanz der sprachpflegerischen Aktivitäten bis 1990 bescheiden: Es erschienen nur wenige Nachschlagewerke für den Gebrauch des nichtprofessionellen Sprachbenutzers, es gab keine periodischen Veröffentlichungen zur Diskussion der Prinzipien und des Zustandes der Sprachkultur und so gut wie keine „Sprachecken“ über einen längeren Zeitraum in den Zeitungen und Wochenschriften.

4) Ein Ergebnis des wiedererwachenden National- und Sprachbewusstseins eines Teils der weißrussischen Bevölkerung war die Gründung der Gesellschaft der weißrussischen Sprache Francišak Skaryna im Jahre 1989. In den 1990er Jahren sind trotz der schwierigen wirtschaftlichen Situation des Landes und der ungelösten sprachenpolitischen Probleme wichtige Werke zur Sprachkultur erschienen.