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Serbokroatisch

Sprachperioden

Die Vorgeschichte des Serbokroatischen beginnt im Rahmen der sog. „Wiedergeburtsbewegung“ der Südslawen mit der Kodifizierung des Serbischen durch den serbischen Autodidakten Vuk Stefanović Karadžić ab 1814 (Grundlage hierfür war sein serbischer (ijekawisch- neuštokavischer) Heimatdialekt). Diese Sprachkonzeption der Kodifizierung eines weit verbreiteten Volksdialekts verfolgte er erfolgreich weiter durch die Sammlung und mehrbändige Edition von Volksdichtung und eine Übersetzung des Neuen Testaments (1847) in dieser Sprache. Dieser Sprachkonzeption kam ab Mitte der 1830er Jahre (Proglas ‘Aufruf’ 1835 von Ljudevit Gaj) auch die Sprachreform der führenden kroatischen Illyristen nahe, die ihre Ideen einer Vereinigung aller südslawischen Völker in einer überregionalen Schriftsprache dadurch zu verwirklichen betrachteten, dass sie sich über ihre Zagreber kajkavische Dialektumgebung hinwegsetzten und ebenfalls den štokavischen Dialekt, der auch in weiten Gebieten des kroatischen Raums gesprochen wird, zu ihrer Schriftsprache machten. Diese Zagreber Lösung unterschied sich folglich nur in wenigen Kleinigkeiten der Orthographie und Flexion von der Karadžićs. Nach dem Verbot des Illyrismus durch Österreich-Ungarn (1843) und der sprachlichen Verselbständigung des Slowenischen und auch des Bulgarischen mussten diese weit reichenden sprachpolitischen Vorstellungen aufgegeben werden. Eine weitere Annäherung zwischen Kroaten und Serben in der Schriftsprachenfrage war somit möglich geworden und wurde von ihren führenden Intellektuellen auch angestrebt. Diese Bestrebungen finden (in dem oft ideologisch bewusst überschätzten, denn es war nur eine private Absichtserklärung) Bečki književni dogovor („Wiener Schriftsprachen-Vereinbarung“) von 1850 ihren Ausdruck. Es dauerte Jahrzehnte, bis diese Vorstellungen in Bosnien (1867), Serbien (1868) und schließlich Kroatien (1877) offiziell verwirklicht wurden.

In den jugoslawischen Staatsbildungen galt das Serbokroatische verbindlich als gemeinsame Standardsprache, doch führten die politischen, wirtschaftlichen und kulturellen Entwicklungen zu immer deutlicheren Gegensätzen und in Folge davon zu Repressionen, die auch die sprachlichen Unterschiede zu nivellieren suchten (absurdes Projekt einer „serbisch-kroatisch-slowenischen“ Einheitssprache im Ersten Jugoslawien) und durch die Belgrader politischen Dominanzbestrebungen weitgehend diskreditiert wurden. Kurz vor Ausbruch des 2. Weltkrieges war die sprachliche Entfremdung zwischen Kroaten und Serben soweit gediehen, dass eine Trennung unmittelbar bevorzustehen schien. Diese Trennung wurde im kroatischen Staat (1941-1945) konsequent und aggressiv realisiert: Tatsächliche und scheinbare Serbismen wurden aus dem Kroatischen ausgemerzt, es erschienen eigene grammatische und orthographische Normierungen mit starken puristischen Zügen.

Das Tito-Jugoslawien kehrte nach dem 2. Weltkrieg insbesondere aus ideologischen Gründen zu der gemeinsamen serbokroatischen Standardsprache zurück und versuchte erneut, dieses Konzept tiefer zu verwurzeln. Diesem Ziel diente die Arbeit der offiziellen Orthographie-Kommission (Pravopisna komisija) in Novi Sad 1954. In Pflege und Kultur des Serbokroatischen wurde offiziell viel investiert (wissenschaftliche Konferenzen, Schulbücher und Schulgrammatiken, Medien). Aufkommende nationalistische Ansätze (z. B. der so genannte "Kroatische Frühling" Ende der 1960er Jahre) wurden von Tito persönlich zwar rigoros unterdrückt, doch wurden diese Aktivitäten verdeckt intensiv weiter betrieben, in kleinen Schritten immer wieder auch offen probiert.

Der von führenden serbischen und kroatischen Intellektuellen und Politikern in den Medien immer aggressiver vertretene Nationalismus führte nach Titos Tod (1980) zu einer bewussten Zerstörung Jugoslawiens; besonders auf kroatischer Seite spielten in diesem Prozess auch Fragen sprachlicher Repression und Forderungen sprachnationaler Selbständigkeit eine bedeutende Rolle. Diese vehement nationalistische Konfrontation mündete auch in kriegerische Konflikte, die nicht nur das Zweite Jugoslawien, sondern auch Idee und Realität einer gemeinsamen serbokroatischen Standardsprache zerstörten.